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09.06.2002

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Press-on-itis

Was hatt'se denn da jetzt wieder für'n Begriff aufgestöbert...? Kennt Ihr noch nicht? Gut, dann kann ich Euch ja glatt etwas Neues erzählen...

Press-on-itis hat nichts mit dem abendlichen Sport einiger Familienmitglieder zu tun, sich die Macht (Fernbedienung) zu angeln und nach Herzenslust im Programm herumzuzappen, bis dem Partner schwindelig wird oder er komplett den Faden im Film verloren hat, weil nicht rechtzeitig zurückgezappt wurde. Ganz zu schweigen von den 'Shopping-Tipps', um die er auf diese Weise gebracht wird...

Nein, Press-on-itis bedeutet, daß man eine Handlung fortführt, ohne zu berücksichtigen, daß die Umstände sich geändert haben und eine Fortsetzung des Handelns gar nicht mehr sinnvoll ist.

Menschliche Faktoren sind Hauptunfallursache in der Fliegerei, die angesprochene Press-on-itis ist an über einem Fünftel aller Unfälle beteiligt, wie eine Untersuchung der 'Flight Safety Foundation' aus 1999 ergeben hat. Ein Paradebeispiel dafür sind nicht stabilisierte Anflüge. Sei es, daß Checklisten noch nicht komplett abgearbeitet wurden, es in der Kommunikation mit Approach oder Tower gerade hakt und irgendwas nicht oder miß-verstanden wurde, der Seitenwind stärker als erwartet ausfällt oder sich sonst irgendwelche Hindernisse auftun. Nicht selten passen diese Anflüge dann hinsichtlich Anflugwinkel, Höhe oder Geschwindigkeit nicht, werden aber nur allzu oft trotz aller Widrigkeiten fortgesetzt. Dieses ist einfach leichtsinnig, weil die Wahrscheinlichkeit eben sehr hoch ist, daß diese Anflüge 'unplanmäßig' enden.

Die Gründe für dieses Verhalten sind vielfältig: Zeitknappheit, wirtschaftliche Gründe (Durchstarten und Hintenanstellen kostet Geld), mangelndes Training was das Durchstarten betrifft und und und. Aber ein weiterer wichtiger Grund, gerade in der Privatfliegerei, ist vielleicht der, das Image zu wahren. Was sollen denn die Mitflieger sagen (die nicht Pilot sind) oder die Leute da unten am Zaun, 'werden sie weitertratschen, daß ich nicht landen kann?' Sehr cool wär's nicht, wenn ich durchstarten müßte... Überhaupt: wie geht das noch? Und was steht denn so schnell alles auf der Checkliste?... völlig vergessen durchzuarbeiten...

Was heißt hier überhaupt cool und warum muß man immer cool sein? Cool sein, im Sinne von Überblick verlieren, Dinge auf Biegen und Brechen durchbringen, Gefahren ignorieren? Einige mögen das als cool bezeichnen, aber eigentlich ist es brutal, kurzsichtig und egoistisch. Aber keineswegs souverän und sicher. Denn das einzige, was bei diesen Manövern im Vordergrund steht, ist der Pilot selbst, der seine Vorstellung von sich, als dem 'Helden der Lüfte', der alles 'hinbiegt', aufrecht erhalten möchte.

Warum verhalten sich Menschen denn so? Weil sie Anerkennung wünschen? Nur: wer hat denn gesagt, daß dieses Verhalten das mit der größten Anerkennung ist? Passagiere, auch ohne fliegerischen Hintergrund, merken recht schnell, daß sie einem solchen 'Haudegen' ihr Leben anvertraut haben. Aber wem werden sie wohl mehr vertrauen, bei wem werden sie sich wohler fühlen: bei diesem 'Hinbieger' oder bei jemandem, bei dem man merkt, daß er jederzeit weiß, was er tut, der, weil er vorausschauend denkt, ruhig und sicher handelt, der die charakterliche Stärke besitzt, auch mal entschieden 'Nein' zu sagen, z.B. zu einem Anflug, der nicht paßt und genauso entschieden durchzustarten. Erklären kann man das in jedem Fall und wenn's genauso ruhig und souverän erfolgt, wie die Handlungen vorher, wird es als logisches, schlüssiges Handeln empfunden. Und vor allem: _das_ gibt dem Passagier ein sicheres Gefühl und nicht dieses Brecheisen-Prinzip.

Aber dieses Verhalten scheint eine echte Volkskrankheit zu sein. Sehen wir uns doch mal die Wirtschaft an. Auch hier ist zuweilen Press-on-itis am Werk: es wird auf höchster Ebene eine strategische Entscheidung getroffen. Etwas später zeichnet sich ab, daß das Umfeld (z.B. Konkurrenzsituation, Kundenwünsche) sich ändern und eigentlich eine Kurskorrektur erforderlich wird. Aber die Richtung jetzt schon wieder ändern? Was sollen denn die die Aktionäre und die Geschäftspartner denken? Es könnte der Eindruck entstehen, das Management sei nicht in der Lage, vorausschauend zu handeln und die richtige Richtung für das Unternehmen einzuschlagen.

Es wird gewartet. Und gewartet. Die Lage spitzt sich zu, das Kind fällt in den Brunnen, sprich: die wirtschaftliche Lage wird so schlecht, daß Maßnahmen unausweichlich werden. Die einen Unternehmen versuchen dann trotzdem ihr Ziel zu erreichen, legen Press-on-itis an den Tag, ignorieren also alle nicht mehr passenden Parameter des Unternehmens (Produktpalette, Marketingmaßnahmen, Vertriebskanäle, Investitionen) und legen nicht selten eine Bruchlandung hin. Schuld sind dann nicht sie, sondern die Umstände... Die anderen Unternehmen entscheiden sich zum Durchstarten, zur Verabschiedung von der einst geplanten Richtung. Im Prinzip o.k., aber für den nächsten Versuch müssen sie ersteinmal 'Ballast' abwerfen, also z.B. Mitarbeiter entlassen und an allen Ecken und Enden Kosten sparen. Die Landung klappt, hat aber auch finanzielle Einbußen gebracht. Schuld waren auch hier natürlich die Umstände.

Falsch. Schuld war die an den Tag gelegte Press-on-itis, das zu lange Festhalten an einmal getroffenen Entscheidungen, das zu späte Überdenken der eingeschlagenen Richtung.

Weitblick, kritische Beobachtung der eigenen Aktivitäten, aber auch Flexibilität und sofortige kleinere Kurskorrekturen wären notwendig gewesen, und so ganz nebenbei bringt dieses Vorgehen mehr Anerkennung als das fürchterliche 'Herumbrechen', wenn es längst zu spät ist.

Thorsten bringt das Thema in seinem Gastkommentar ähnlich auf den Punkt: Was ist dran an der Rezession im Luftverkehr? Press-on-itis schon weit im Vorfeld? Und jetzt, um das Gesicht zu wahren, war der 11. September schuld?

Press-on-itis ist nicht cool. Sie ist überflüssig und beweist nur Kurzsichtigkeit und Dummheit. Und wer will schon mit 'dummen' Piloten fliegen?

Also: smartes Fliegen ist angesagt, in der Luft und auch 'am Boden'. Passagiere, Aktionäre und Mitarbeiter fühlen sich dabei sicherlich wohler und werden es mit entsprechender Anerkennung belohnen.


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